Marcel Meury, Zürich (CH) Konstruktion Zürich 31. Januar bis 29. Februar 2004
Vernissage: Samstag, 31. Januar 2004, 18 Uhr Marcel Meury
Ausstellungsdauer: 31. Januar bis 29. Februar 2004
Öffnungszeiten: Freitag 18 bis 20 Uhr
Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr
Website: Website Marcel Meury
In der vorliegenden Arbeit „Konstruktion Zürich“ widmet sich der junge Schweizer Nachwuchsphotograf Marcel Meury dem internationalen Phänomen der Metropolisierung. Dabei richtet er sein Augenmerk zunächst hauptsächlich auf Veränderungen der Stadtmorphologie Zürichs. Innerhalb einer Serie von Grossformatbildern reflektiert und inszeniert Marcel Meury neu erschlossene Lebensräume und deren architektonische Gestalt mit herausragend dynamisierender Wucht und Markanz. In einem weiteren Schritt soll die Untersuchung auf die ganze Schweiz ausgedehnt werden, um repräsentatives Bildmaterial zu generieren für den zukunftsträchtigen Themenkomplex der „Metropole Schweiz“.

Die Zeiten einer klaren Trennung zwischen Stadt und Land gehören definitiv der Vergangenheit an. Dem weltweiten Trend der Urbanisierung hoch entwickelter Wirtschaftsräume kann sich auch die Schweiz nicht entziehen. Will das winzige Land im Herzen Europas im internationalen Wettbewerb der konkurrierenden Metropolen bestehen, muss es sich auf tiefgreifende wirtschaftliche, gesellschaftspolitische und deshalb auch infrastrukturelle Veränderungen einstellen. Die geografische Überschaubarkeit und eine bereits hoch elaborierte Vernetzung unterschiedlichster Knotenpunkte bietet dafür eigentlich hervorragende Voraussetzungen.
Die Schweiz befindet sich stärker denn je in einem komplexen Prozess der urbanen Verflechtung. Mit ein bisschen Vorstellungskraft kann das einstige Bauernland mehr und mehr als ein einziges weiträumig vernetztes Stadtgebilde mit reichlich ausladenden Landschaftsgärten begriffen werden. Fünf metropolitane Grossräume kristallisieren sich dabei als Ballungszentren heraus: Neben Basel, Bern, dem Sotto Ceneri und der Genferseeregion dürfte der Grossraum Zürich auch künftig seine Leaderfunktion weiter ausbauen. Nicht umsonst wurde in der Limmatstadt aus dem beschaulichen Slogan „little big city“ das leicht anmassende, aber gar nicht so realitätsfremde „downtown switzerland“.
Nach einem längeren Werkaufenthalt in Berlin hat sich Marcel Meurys Blick für städtebauliche Phänomene geschärft. Er ist überzeugt, dass die Schweiz vor der entscheidenden Frage steht, welche Rolle das kleine Land künftig im internationalen Kontext einnehmen will.

Fährten einer neuen Ästhetik
Die Stadtgestalt, die Marcel Meury knapp fünfzehn Jahre nach dem Ende des kalten Krieges unter die Lupe nimmt, präsentiert sich im Fall von Zürich selbstbewusster denn je: im Westen der Bahnschlagader wich ein alter Cheib von Quartier einem globalen Dorf dynamischer Yuppies. Ebenso im Norden erkannte man die Industriebrachen entlang der Bahnareale als Chance für Milliardeninvestitionen. Gleichzeitig wuchs ein beinahe grotesk gigantischer Flughafen heran. Nach wie vor verspricht sich das „Millionen-Zürich“ erheblichen Wachstum und plant und baut nach Zürich-Nord und –West mit Eifer an einem neuen Osten: etwa mit der Umnutzung von Schlacht- und Güterbahnhofareal, Sihlpapierfabrik und Üetlibergdurchstich. Weitere Grossprojekte wie die neuen Sportstadien, der unterirdische Ausbau des Hauptbahnhofs Löwenstrasse oder der Bau der Glattalbahn zeugen von entsprechendem Optimismus. Neuer Raum ist im Entstehen begriffen. Distanzen zwischen neu gestalteten Räumen werden erschlossen und Altes erstrahlt gepflegt gestylt und getuned in einem neuem Licht. Synchron zu diesen massiven Eingriffen in die Stadtmorphologie veränderten sich diverse Alltagsgewohnheiten der Bevölkerung: Telefonhörer wurden mobil, Züge doppelstöckig, Fernsehen privat, Theater kosmopolitisch, Zeitungen gratis, Untergrund institutionalisiert. Bankhäuser fusionierten, Brauereien versiegten, Manager optimierten auf Teufel komm raus. Der tiefgreifende wirtschaftliche Strukturwandel hat alle klassischen Industrienationen erfasst und zieht spätestens seit Beginn der Neunzigerjahre gerade in Zürich räumliche Konsequenzen nach sich, deren neuen Ästhetik Marcel Meury nun mit seinen Bildern nachspürt.

Ein Land wird zur Stadt
Nach der Suburbanisierung der letzten Jahrzehnte (dem Wachstum und der funktionalen Verflechtung der Agglomeration rund um die Kernstädte) ist nun ein Prozess der Periurbanisierung im Gange: Man wohnt beispielsweise im Thurgau, im Aargau oder in der Innerschweiz und pendelt täglich nach Zürich zur Arbeit.
  © Marcel Meury
Schon heute macht der Begriff der „Metropole Schweiz“ die Runde, wonach die städtischen Siedlungsräume über das Nationalstrassen- und Bahnnetz bereits derart eng aneinander geknüpft sind, dass sich die Dauer der Arbeitswege zwischen Schweizer Ballungszentren kaum merklich vom Zeitaufwand unterscheiden, der nötig ist für die Durchquerung grosser Weltmetropolen wie Berlin, Paris oder New York.
Ideen, wie die in Vakuumtunnels betriebene Swissmetro, welche dereinst mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 500km/h die grössten Schweizer Ballungszentren wie Stadtquartiere miteinander verbinden könnte, klingen momentan – insbesondere mit Blick auf die leeren Staatskassen – eher nach ferner Zukunftsmusik. Unter der Federführung von Price Waterhouse Cooper hat sich jedoch eine durchaus illustre Trägerschaft gebildet und die Verwirklichung einer Teststrecke zwischen Lausanne und Genf rückt zumindest auf der Entwicklungsebene bereits näher.
Sei es in Gedanken oder in bereits physisch gewordener Realität: Die Veränderungen der Raumgestaltung, der Raumüberwindung und damit der Lebens- und Arbeitsgewohnheiten lösen einen, sich immer stärker akzentuierenden, städtebaulichen und sozialen Diskurs aus. Dieser dringt jedoch nur allmählich aus den einschlägigen Fachkreisen ins öffentliche Bewusstsein. Meurys Arbeit versteht sich in diesem Kontext denn durchaus als Beitrag und visueller Kraftstoff zu den laufenden Debatten: „Die schleichenden, aber grundlegenden Veränderungen der Stadtmorphologie liefern mir genau die Geschichten und Motive, die mich interessieren und dienen mir deshalb als optimale Vorlage für meine Skizzen.“

Umsetzung
Skizzen freilich, die Marcel Meury nach einer sorgfältigen Selektion des umfangreich recherchierten Materials aufwendig inszeniert: Um eine höchst mögliche Nähe zwischen Bild und Betrachter zu erreichen, und sowohl räumliche, als auch emotionale Distanz auf ein Mindestmass zu reduzieren, wird bewusst auf traditionelle Rahmung verzichtet. Die Serie der Grossformatbilder (70 x 100 cm) in Farbe bedient sich des Diasec-Verfahrens. Bei dieser Präsentationsform handelt es sich um eine dauerelastische, plane Verbindung zwischen einem Papierabzug und einem Acrylglas. Das Fotopapier wird mit Hilfe eines speziellen Klebstoffes luftdicht von hinten auf ein UV- gesperrtes Acrylglas aufgezogen. Beim Durchgang der Lichtstrahlen durch die Acrylglasschicht ist die Lichtbrechung an der Oberfläche der Fotografie eine ganz andere als bei Glas oder ohne Masse. Aufgrund der besonderen Homogenität des Acrylglasmediums wird das Licht mit einem geringeren Streuanteil gebrochen. Dadurch wirken die Farben brillanter, gesättigter, schärfer und unmittelbarer.

Schlussbemerkung
Der Themenkomplex wird nach der Ausstellung weiter untersucht und zunächst auf die gesamte Schweiz ausgeweitet. In einem weiteren Schritt soll die Untersu-chung einen ersten Abschluss finden in einem Fotoband mit dem Arbeitstitel „konstruktion zürich – berlin“.

Text: Simon Bühler
unterstützt durch:
Christinger Partner AG, Holcim AG, Photo Studio 13 Zürich, Sterk Lichtspieltheater AG Baden, Allreal Holding AG